Videospiele bzw. Computerspiele gibt es schon länger, als viele vermutlich denken. Schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden auf den ersten elektronischen Rechenapparaten, den Nachfolgern von Konrad Zuses Rechenmaschinen, die ersten Spiele entwickelt und gespielt. Diese meist sehr rudimentären Spiele, manche von ihnen kann man per Definition noch nicht mal als richtiges Computerspiel sehen, dienten oft zu Forschungszwecken militärischer oder unterhalterischer Art, legen dabei aber gleichzeitig den Grundstein zur Unterhaltungsindustrie, wie wir sie heute kennen. Ein paar Beispiele seien nachfolgend genannt:
Allen B. DuMont Laboratories, Inc.
Die Raketensimulation
Cathode-Ray Tube Amusement Device von 1947, entwickelt bei DuMont vom Amerikaner Thomas T. Goldsmith Jr. (1910–2009) auf analoger Hardware mit Ausgabe auf einer kreisrunden Kathodenstrahl-Bildröhre, gilt dabei als erstes Videospiel der Welt. Das Prinzip ist denkbar einfach und ist wohl dem Zeitgeist geschuldet, war doch der Zweite Weltkrieg gerade erst ein paar Monate vorbei und halb Europa und Ostasien in Schutt und Asche gelegt, und der Kalte Krieg zwischen Ost und West wirft langsam seine Schatten voraus. Mittels eines Strahlflecks wird ein Geschoss simuliert, welches auf Ziele abgefeuert werden soll. Die Zielobjekte befinden sich dabei nicht
im Bildschirm, sondern auf einer auf den Bildschirm aufgelegten Folie, die Position der Ziele kann dabei frei verändert werden. Die Flugbahn muss dann vom Spieler mittels Drehknöpfen eingestellt werden. Einen eigenen Speicher hat das Gerät nicht, wodurch es auch nicht programmierbar ist. Daher gilt das Spiel auch nicht als erstes
Computerspiel. Nur wenige Testgeräte wurden überhaupt angefertigt, auf Grund der hohen Komponentenpreise ging es nie in Serie. Stand heute existiert kein funktionierendes Modell mehr.
University of Waterloo
1950 folgt
Bertie the Brain, ein Tic-Tac-Toe-Spiel, entwickelt vom gebürtigen Österreicher Josef Kates (geb. Katz, 1921–2018) an der University of Waterloo für die Canadian National Exhibition 1950. Zum Einsatz kommen von Kates entwickelte Additron-Röhren, die als Ersatz für alle bisher verwendeten und verschiedenen Röhren entwickelt wurden. Sie kamen danach allerdings nicht mehr zum Einsatz.
Ferranti International PLC
1951 erreichen Computerspiele auch das Nachkriegs-Europa. Der Australier John Makepeace Bennett (1921–2010) setzte an der University of Cambridge zusammen mit Raymond Stuart-Williams das
Nim-Spiel um und baute einen Computer namens
Nimrod um dieses Spiel. Dieser basiert auf dem bereits 1939 in New York vorgestellten elektromechanischen Spiel
Nimatron. Nach der Erstvorstellung auf dem Festival of Britain 1951 wurde es wenige Wochen später auch auf der Berliner Industrieausstellung präsentiert. Der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard verlor, wie viele andere auch, gegen Nimrod.
University of Cambridge
Bisher basieren alle Spiele auf Röhrengeräten, 1952 folgt der Schritt ins Digitale Zeitalter. Mit
OXO wird in Europa an der University of Cambridge das erste digitale Computerspiel vorgestellt. Entwickelt wurde es von Alexander Shafto „Sandy“ Douglas (1921–2010) auf dem EDSAC (Electronic Delay Storage Automatic Calculator) im Zuge seiner ersten Doktorarbeit. Es handelt sich erneut um ein Tic-Tac-Toe-artiges Spiel, diesmal mit Grafikausgabe, die Bildschirmauflösung betrug 35×16 Pixel. Die Ansteuerung der Felder durch den menschlichen Spieler erfolgt dabei über eine Wählscheibe oder eine Tastatur.
Brooklyn National Laboratory
Als erstes richtiges Computerspiel folgt am 18. Oktober 1958 dann
Tennis for Two, welches vom Amerikaner William Higinbotham (1910–1994) für die jährliche Ausstellung des Brookhaven National Laboratory entwickelt wurde. Das Spiel läuft auf einem Analogcomputer, die Ausgabe erfolgt über einem fünf Zoll großen Oszilloskop. Zwei fest verkabelte Kästchen mit jeweils einer Drucktaste und einem Drehknopf dienen dabei als Steuerung.
Massachusetts Institute of Technology
Steve Russell (* 1937 in Hartford, Connecticut), Professor für Computerwissenschaften am
MIT, und zwei seiner Studenten entwickeln auf dem 1959 erschienenen Minicomputer DEC PDP-1 das Videospiel
Spacewar!, welches weithin als Grundstein der Videospielbranche und als Meilenstein der digitalen Unterhaltungselektronik gilt.
University of Utah
Der aus Clearfield, Utah stammende neunzehnjährige Nolan Bushnell, Student an der University of Utah, ist begeistert von
Spacewar!. In den Semesterferien jobbt Bushnell in einer Spielhalle, was ihn auf die Idee bringt,
Spacewar! als Münzspielautomat zu entwickeln. Allerdings fehlt es ihm an Geld und die benötigte Hardware braucht noch etwa so viel Platz wie ein Kleinwagen. Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis Bushnell sein Vorhaben realisieren kann.
Sanders Associates, Inc.
Ralph Baer, 1922 als Rudolf Heinrich Baer im pfälzischen Rodalben geboren, 1938 aus dem von den Nazis regierten Deutschland geflohen und seit 1955 beim Militärzulieferer Sanders Associates in Nashua, New Hampshire angestellt, entwickelt seit 1967 zusammen mit William L. Harrison und William T. Rusch die sogenannte
Brown Box, ein einfaches Videospiel für den heimischen Fernseher, und stellt es nun seinem Arbeitgeber vor, der allerdings damit nur wenig anzufangen weiß.
Magnavox Company
Baer schließt sich daraufhin mit
Magnavox zusammen.
Ampex Electric and Manufacturing Company
Nolan Bushnell wird von Kurt Wallace als Associate Engineer in der Videofile Information Systems Division des Tonbandherstellers Ampex angestellt. Sein Büropartner wird Samuel Frederick Dabney Jr., kurz Ted Dabney genannt, der seit 1961 in der Firma ist und seit Gründung der Division 1967 dort arbeitet. Dabney war davor im militärischen Zweig von Ampex beschäftigt.
Ampex Electric and Manufacturing Company
Bushnell fertigt erste grobe Entwürfe für eine Minicomputer-basierte Spielemaschine an.
Syzygy Engineering
Bushnell, Dabney und der ebenfalls bei Ampex angestellte Larry Bryan treffen sich, um sich über den Bau einer solchen Spielemaschine beispielsweise auf Basis eines Supernova Minicomputers von Data General zu verwirklichen. Bryan wird Namensgeber des Projekts
Syzygy, zu dem jeder 100 Dollar beisteuern soll.
Syzygy Engineering
Bryan hat das Projekt bereits wieder verlassen, ohne die 100 Dollar beigesteuert zu haben. Bushnell und Dabney legen zu ihren 100 Dollar nochmals jeweils 250 Dollar drauf.
Auf den 26. Januar 1971 ist ein Briefentwurf an Data General datiert, mit dem Syzygy einige Nova 1200 Minicomputer bestellen wollte. Die Bestellung wurde aber letztendlich nie ausgeführt.
Syzygy Engineering (Nutting Associates)
Bushnell wechselt von Ampex als Entwickler zum Spielautomatenhersteller Nutting Associates nach Mountain View. Die Firma stellt Bushnell Räumlichkeiten für ein auf Basis von
Spacewar! zu entwickelndes Spiel zur Verfügung und will die Herstellungskosten übernehmen. Syzygy soll die Rechte an dem Spiel behalten dürfen und Nutting eine Produktionslizenz ausstellen. Dabney, der an dem Projekt mitarbeitet, bleibt vorerst bei Ampex.
Ampex Electric and Manufacturing Company
Der Ingenieur Allan „Al“ Alcorn, Absolvent der University of California in Berkeley im Jahrgang 1971, geht als Elektroingenieur zu Ampex und ersetzt dort Bushnell als Dabneys Büropartner. Alcorn hat bereits 1968/69 ein mehrwöchiges Praktikum bei Ampex absolviert.
Syzygy Engineering (Nutting Associates)
Ted Dabney verlässt Ampex ebenfalls und wechselt zu Nutting Associates.
Syzygy Engineering (Nutting Associates)
Nutting erhält am 23. August eine Lizenz zur Produktion von
Computer Space von Syzygy. Dabney und Bushnell sollen 5% der Einnahmen aus allen Verkäufen erhalten.
Nutting Associates
Auf der Music & Amusement Machines Exposition (MAME) im Sherman House in Chicago wird das auf Spacewar! basierende Arcadespiel
Computer Space durch Nuttings Marketingleiter David Ralstin am 15. Oktober erstmals vorgestellt. Alle vier Prototypen (rot, blau, gelb, weiß) sind vertreten.
Stanford University
Syzygy sind jedoch nicht die einzigen, die sich an einer Automatenversion von
Spacewar! versuchen: Im Tresidder Student Union Chess Room der Stanford University entwickeln die Studenten Bill Pitts und Hugh Tuck auf einem DEC PDP-11/20 und einem Hewlett-Packard 1300A Bildschirm ihre eigene Version und stellen sie am 29. November in der Studentenzeitung
The Stanford Daily vor.
Nutting Associates
Computer Space wird unter der Modellnummer NA-2010 auf den Markt gebracht und gilt damit als erstes kommerzielle hergestelltes und der breiten Öffentlichkeit zugängliches Arcadespiel.
Syzygy Engineering (Nutting Associates)
Bushnell reist nach Chicago, um dort ein Seminar für Techniker im Außendienst der Firma Empire Distributing abzuhalten. In der Stadt angekommen, trifft er sich mit John Britz, Executive Vice President bei der Bally Manufacturing Corporation, zum Austausch über die mögliche Entwicklung eines weiteren Spiels.
Unterdessen hat sich
Computer Space etwa eintausend Mal verkauft, bleibt aber hinter den Umsatzerwartungen von Nutting Associates zurück. Das Spiel ist ohne das Zurateziehen des dicken Handbuchs nicht zu bewältigen, was viele potentielle Spieler eher abschreckt.
Nutting Associates
Marketingleiter David Ralstin verlässt Nutting.
Syzygy Engineering (Nutting Associates)
Bushnell versucht mit Hilfe der Anwaltskanzlei Hopkins, Jordan, Mitchell & Sullivan das Projekt Syzygy als eigenständige Firma zu etablieren. Da der Name jedoch bereits an eine örtliche Dachdeckerfirma vergeben ist, scheitert das Vorhaben vorerst.
Am 24. Mai besucht Bushnell die Hausmesse der Firma Magnavox in Burlingame im kalifornischen San Mateo County, wo das Fernseh-Tennisspiel
Magnavox Odyssey 100 vorgestellt wird, das aus Ralph Baers
Brown Box entstand.
Letzte Seitenbearbeitung: 10. November 2024